Leitgedanken: Gesundheit positiv und ganzheitlich fördern:
Religion und Gesundheit - eine fruchtbare psychologische Kombination?

Religionspsychologie ist eine Teildisziplin der Psychologie; sie will das religiöse Erleben, Denken und Handeln von Menschen in ihren psychosozialen Ursachen und Wirkungen verstehen. 

Unter dem hier vorherrschenden Blickwinkel der Gesundheitsförderung ist - sowohl für die Gesundheitspsychologie als auch für die Religionspsychologie - nach den Auswirkungen von weltanschaulichen und sozialen Religionszugehörigkeiten auf die psychosoziale Gesundheit von Menschen zu fragen. Religiöse Einstellungen und die Mitgliedschaft in religiösen Gemeinschaften können die Gesundheit sowohl fördern als auch behindern; dies können sicher viele Menschen aus ihren persönlichen Erfahrungen und aus sozialen Erfahrungen mit ihren Mitmenschen sowie viele Fachleute des Gesundheitsbereich bestätigen,  und dies wird auch durch Forschungsergebnisse belegt. 

In der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation werden in Deutschland einerseits die christlichen Kirchen mehr in Frage gestellt und verlieren an 'sozialen Zugkräften'; andererseits gewinnt eine unüberschaubare Vielfalt von kirchlich ungebundenen 'spirituellen' Anschauungen und religiösen Gruppen an 'Konjunktur' mit positiven, fragwürdigen und eindeutig negativen Auswirkungen (was im Rahmen der 2000jährigen Geschichte des Christentums häufig vorgekommen ist). Religiöses Erleben, Denken und Handeln von Menschen scheint sich im soziologischen Sinne zu verlagern, aber nicht unbedingt zu vermindern. Die gesellschaftliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit 'Religion' ist durch diese Verlagerungstendenz verstärkt  gefordert. 

Im Sinne vieler geisteswissenschaftlich und religionspsychologisch forschender Psychologen/Psychotherapeuten (Eduard Spranger, C.G.Jung, Viktor Frankl und neuere Richtungen der 'transpersonalen Psychologie') läßt sich sagen: Die Suche von Menschen nach einer positiv erlebten Religion und nach positiver sozialer Integration in religiöse Gemeinschaften ist eine anthropologische Grundausstattung des Menschseins; diese Suche ist nicht durch materialistische und rationalistische Weltanschauungen sowie durch das Streben zu Konsum, Erlebnisrausch und zu Glückserfahrungen ohne Umwege über Anstrengungs- und Frustrationserfahrungen zu ersetzen. 

In dieser gesellschaftlichen Situation hat die Religionspsychologie m.E. folgende wichtigen Aufgaben für das Handlungsfeld der Gesundheitsförderung: 

  • Als Forschungsaufgabe ist die Frage zu beantworten: Unter welchen psychosozialen Bedingungen tragen religiöse Einstellungen und die Mitgliedschaft in religiösen Gemeinschaften zur Förderung ganzheitlicher Gesundheit bei? Wissenschaftlich begründete Kriterien für gesundheitsförderliche und gesundheitsschädliche Einflüsse von weltanschaulicher und sozialer Religionszugehörigkeit sind zu benennen. 
  • Zugunsten der Gesundheitsförderung sollte die Religionspsychologie zusammen mit ihren benachbarten wissenschaftlichen Fächern und entsprechenden Berufsfeldern Orientierungen vermitteln, um Menschen in ihrer bio-psycho-sozialen Gesundheit durch psychologisch angemessene Verstärkungen von positiven Einflüssen weltanschaulicher und sozialer Religionszugehörigkeit zu fördern.
  • Weiterhin sollte Religionspsychologie auch die in der Fachwelt anwachsenden Bemühungen zu präventiven, therapeutischen und rehabilitativen Maßnahmen gegenüber gesundheitsschädlichen Einflüssen durch 'Sekten' und andere Formen negativer weltanschaulicher und sozialer Religionszugehörigkeit unterstützen; dazu sollte sie Orientierungen vermitteln, wie sich negativ wirkende Religionszugehörigkeiten in positiv wirkende Religionszugehörigkeiten wandeln lassen (und nicht in 'Religionslosigkeit').

Nachfolgend seien - aufgrund der persönlichen Kombination von theologischer und psychologischer Hochschulausbildung des Autors - wesentliche Bedingungen für gesundheitsfördernde Einflüsse von weltanschaulicher und sozialer Religionszugehörigkeit benannt: Religiöse Einstellungen fördern ganzheitliche Gesundheit, wenn sie bei Menschen und in religiösen Gemeinschaften mit den Prinzipien ‘Hoffnung’, ‘Liebe’, ‘Freiheit’, ‘Lebensbejahung’ und ‘Schuld & Schuldvergebung’ in Wort und Tat verbunden sind: 

  • ‘Hoffnung’ als Hoffnung, beständig von einer höchsten Liebe bzw. einer liebenden Gottheit umgeben und durchdrungen zu sein;
  • ‘Liebe’ als Liebe zu allen Menschen der Erde, unabhängig ihrer religiösen Einstellungen, ihrer Nation und sozialen Schichtzugehörigkeit;
  • ‘Freiheit’ als absolutes Recht, Glauben, Religion und religiöse Gemeinschaften für sich zu wählen oder sich von ihnen zu distanzieren, zumal aus christlicher Sicht Gott dem Menschen die absolute persönliche Freiheit läßt, sich für oder gegen Gott zu entscheiden;
  • ‘Lebensbejahung’ als Förderung einer gesunden sozialen Lebensgestaltung, als Streben zu Krankenheilungen, als Bejahung der Möglichkeit eines glücklichen jenseitigen Lebens nach dem Tode;
  • ‘Schuld & Schuldvergebung’ als Hinweis darauf, daß Menschen (durch Mangel an Liebe) oftmals schuldig werden und daß ‘Gott’ sie auch im Zustand der Schuld liebt, ihnen bei menschlicher Reue ‘liebend gern’ Schuld verzeiht und bereit ist, zur Umkehr zu helfen.

Abweichungen von diesen Prinzipien gibt es in nahezu allen großen und kleinen religiösen Gemeinschaften, nicht nur in ‘Sekten’, sondern auch in der Geschichte der großen christlichen Kirchen und in vielen anderen Religionen. Beispiele: Anstelle von Hoffnung wird Furcht vor einem strafenden Gott gefördert; Liebe wird nicht für andersgläubige Menschen begrüßt, sondern auf die Mitglieder der eigenen Glaubensgemeinschaft beschränkt; anstelle von Freiheit wird psychosoziale Abhängigkeit von ‘Gurus’ und religiösen Gemeinschaften gefördert; anstelle von Lebensbejahung wird ‘zerknirschte’ Askese und Sexualfeindlichkeit gefördert; anstelle der Kombination von Schuld und Schuldvergebung werden Möglichkeiten menschlicher ‘Schuldlosigkeit’ suggeriert sowie Bewertungen, daß etwas ‘unverzeihlich’ sein könne. 

 

© Maximilian Rieländer  

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erstellt: 18.12.1997

aktualisiert: 27.10.2003

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