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Im Gesundheitswesen herrscht faktisch ein krankheitsorientiertes
Verständnis von Gesundheit als 'Freisein von Krankheit'; denn
nahezu alle rechtlichen und finanziellen Regelungen gehen von diesem Gesundheitsverständnis
aus; daher spiegelt der Begriff ‘Krankheitswesen’ mehr die gegenwärtige
Realität. Im 'Krankheitswesen’ liegt die beherrschende Stellung bei
der Medizin, die kaum, nur in Ausnahmefällen, ein positives und ganzheitlich
orientiertes Gesundheitsverständnis berücksichtigt.
Die Grenzen des gegenwärtigen Gesundheitswesens zeigen sich
in der Hilflosigkeit gegenüber vielen chronischen Erkrankungen, im
starken Anstieg psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, im Vorherrschen
von Krankheiten, die stark von individuellen Lebensweisen beeinflußt
werden, sowie in der steigenden Kostenbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die WHO-Strategie "Gesundheit für alle" wird in der nationalen
Gesundheitspolitik zwar wohlwollend zur Kenntnis genommen (z.B. in
der Informationsschrift "Zukunftsaufgabe Gesundheitsvorsorge" des Bundesministeriums
für Gesundheit (1993): "In ihrer Antwort vom 22. Mai 1985 auf die
Große Anfrage zur Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und
zur Qualität der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung
in der Bundesrepublik bekennt sich die Bundesregierung grundsätzlich
zu den Zielen der 'Gesundheit für alle' - Strategie der WHO. Für
die Bundesregierung geht es darum, im Rahmen der gesellschaftlichen und
ökonomischen Bedingungen und der gegebenen Finanzierungsmöglichkeiten
für alle Menschen den bestmöglichen, erreichbaren Gesundheitszustand
anzustreben. In diesem Rahmen sieht die Bundesregierung die WHO-Strategie
als einen 'hochwertigen Richtungsweiser' an."); in der gegenwärtigen
Gesundheitspolitik ist jedoch ein Streben zur effektiven Umsetzung kaum
erkennbar.
In der Bevölkerung zeigen sich folgende beachtenswerten
Phänomene, die über das eingeengte ‘Krankheitswesen’ hinausgehen:
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Ein 'Gesundheitsboom' mit der Suche nach Möglichkeiten zur
Förderung einer 'ganzheitlichen' Gesundheit, u.a. durch Nutzung 'alternativer
Heilweisen', ist erkennbar, auch an einer Hochkonjunktur von Gesundheitsliteratur.
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Selbsthilfegruppen haben in den letzten Jahren einen deutlichen
Zulauf bekommen; die Anzahl von Selbsthilfegruppen, Selbsthilfe-Kontaktstellen
und Selbsthilfe-Organisationen ist deutlich gestiegen. Einerseits erkennt
die Gesundheitspolitik die Förderungswürdigkeit des Selbsthilfebereiches
an; andererseits bleiben die finanziellen Unterstützungen eher gering.
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Es gibt viele Initiativen von Fachleuten im psychosozialen Feld
mit "Gesundheitszentren", "Gesundheitsläden" und "Gesundheitstagen"
sowie auch Möglichkeiten zu "Gesundheitsberatungen" mit unterschiedlichen
qualitativen Hintergründen.
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Die 'Suche nach Sinn' - sie ist eine wichtige Aufgabe für die
seelische Gesundheit - bewirkt aufgrund von Unzufriedenheit mit der gesellschaftlichen
Situation und mit herrschenden Weltanschauungssystemen (seien sie kirchlich-christlich
oder materialistisch, merkantilistisch, atheistisch) einen verstärkten
'Boom' für Esoterik, Spiritualität und fragwürdige 'Gurus',
'Sekten' mit entsprechenden Gefährdungen.
Sind Ansätze für eine notwendige Erneuerung der Gesundheitspolitik
erkennbar?
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Die WHO hat für Europa zusammen mit den europäischen Staaten eine erneuerte
Strategie "Gesundheit
für alle im 21. Jahrhundert" für die europäische Gesundheitspolitik
entworfen, vor allem in Richtung auf
mehr Chancengleichheit und Solidarität.
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Bundesgesundheitsminister Seehofer hat 1993 die Perspektive der Gesundheitsförderung
begriffen, als er auf einer Konferenz "Zukunftsaufgabe Gesundheitsvorsorge"
äußerte: "Es ist in meinen Augen aber auch der gesundheitspolitische
Schwenk der letzten Jahre, vielleicht des letzten Jahrzehnts, von großer,
mindestens gleichrangiger Bedeutung, nämlich der zur Betonung der
Gesundheit und ihrer Förderung. ... Gesundheit soll für den Bürger
mehr sein als nicht krank zu sein."
Die Studie "Gesundheit und Schule" des Bundesministeriums für Bildung
und Wissenschaft (September 1994) befürwortet einen 'Paradigmenwechsel'
von der Prävention zur Gesundheitsförderung: "Förderung
der Gesundheit verlangt sowohl die individuelle Entwicklung und Förderung
entsprechender Kompetenzen als auch die Gestaltung entsprechender Lebens-,
Lern- und Arbeitsbedingungen. Somit bedeutet der Paradigmenwechsel von
den Risikofaktoren zur Gesundheitsförderung ein völliges Umdenken.
Eine zukunftsorientierte Gesundheitsbildung bedarf einer gänzlich
neuen, ganzheitlichen Grundlegung." (S. 2)
Einige Anregungen seien hier zur Diskussion gestellt:
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Die nationale Gesundheitspolitik dürfte die WHO-Strategie "Gesundheit
für alle" nicht nur in ‘Sonntagsreden’ lobend hervorheben, sondern
müsste endlich aktiv und in vorderer Linie zur Umsetzung der
WHO-Strategie beitragen.
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Gesundheitsförderung ist eine Aufgabe der gesamten Politik.
Dies wird von der WHO und der Bundesregierung hervorgehoben. In der Bundes-,
Landes- und Kommunalpolitik müßte Gesundheitsförderung
ein wichtiger Politikaspekt werden; finanzielle Aufgaben zur Gesundheitsförderung
dürften nicht nur dem ‘Krankheitswesen’ bzw. den Krankenversicherungen
überlassen werden.
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Politische Innovations- und Investitionsbereitschaft zugunsten eines
positiven und ganzheitlichen Gesundheitsverständnisses und zugunsten
der WHO-Strategie "Gesundheit für alle" würde deutlich zur Steigerung
der Lebenszufriedenheit in der Bevölkerung beitragen, u.a. auch zu
mehr Zufriedenheit mit der Politik; prognostisch sind dann folgende wünschenswerten
Nebenwirkungen zu erwarten: weniger psychosomatische und psychische Erkrankungen,
weniger Gewalt und Kriminalität, geringere Krankheitskosten, geringere
Kosten für die ‘innere Sicherheit’.
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Folgende Anregung stelle ich zur Diskussion: 10% von den bisherigen
Krankheitskosten könnten über verschiedene Politikfelder
- nicht nur über die bisherige Gesundheitspolitik - in den Bereich
einer qualifizierten, positiv und ganzheitlich orientierten Gesundheitsförderung
investiert werden, davon vielleicht 3% in Maßnahmen zur Gesundheitsförderung,
2% in Maßnahmen zur Unterstützung von Selbsthilfegruppen, 4%
in Psychotherapie und andere alternative Heilweisen als ganzheitlich orientierte
kurative und rehabilitative Maßnahmen, sowie 1% in Maßnahmen
zum Qualitätsmanagement für diese genannten Bereiche.
© Maximilian Rieländer
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erstellt: 18.12.1997
aktualisiert:
27.10.2003
© Maximilian Rieländer
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